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Treffpunkt Fränkisch-Crumbach: Aus aller Welt kamen Nachkommen der Familie Oppenheimer auf der Suche nach ihren Wurzeln

Am Dienstagmorgen musste das „Abholkomitee aus dem Gersprenztal“ auf dem Frankfurter Flughafen gut aufpassen. Denn kurz hintereinander landeten Flugzeuge aus Chicago, Israel und Birmingham, und in allen saßen Nachkommen des früher in Fränkisch-Crumbach lebenden. jüdischen Fabrikanten-Ehepaars Margarete und Moritz Oppenheimer. Eine weitere Gruppe, die mit dem Zug aus Paris gekommen war, wurde kurz danach auf dem Frankfurter Hauptbahnhof an Bord genommen. Insgesamt vierzehn Personen, im Alter von 22 Monaten bis zu 83 Jahren, hatten sich für einen dreitägigen Besuch in der Heimat ihrer Vorfahren angemeldet. Und dass sie aus so unterschiedlichen Richtungen anreisten, hatte nichts mit familieneigener Abenteuerlust zu tun, sondern erklärt sich durch die Tatsache, dass die Familie während der Naziherrschaft vollkommen auseinander gerissen wurde. Die 1940 in Auschwitz ermordeten Eltern Oppenheimer hatten zuvor noch jede Chance genutzt, um wenigstens die sechs Kinder rechtzeitig außer Landes zu schaffen.

Die beiden ältesten Söhne, noch aus erster Ehe Oppenheimers stammend, konnten nach Argentinien und in die USA emigrieren. Die Mädchen Ruth und Hannah, damals zehn und vierzehn Jahre alt, konnten sich einem Kindertransport nach England anschließen, und die beiden jüngsten, Michael und Feodora, wurden in Südfrankreich bei Freunden versteckt. Nach dem Krieg wuchsen sie bei der südfranzösischen Familie Sommer auf und wurden dort wie selbstverständlich in die eigene, sieben Kinder starke Nachkommenschaft integriert. Zwei der dadurch gewonnenen Quasi- Schwestern, Eve und Sylvie, waren sogar die treibende Kraft für den diesjährigen Besuch. „Noch vor fünfzehn Jahren wäre es uns nicht im Traum eingefallen, nach Deutschland zu fahren“, sagte Eve. Nachdem sie aber das Buch „Ein Kind unserer Zeit“ gelesen hatten, das die in England lebende Ruth David (geborene Oppenheimer) über ihre Kindheit in Fränkisch-Crumbach und die dramatischen Ereignisse im Zusammenhang mit der immer stärker werdenden Bedrohung der Familie durch den Naziterror geschrieben hat, wollten sie unbedingt sehen, wo die Wurzeln der Familie liegen.

Andere Mitglieder der Reisegruppe waren schon wesentlich früher einmal zurückgekehrt in die verlorene Heimat und von vielen Dorfbewohnern mit offenen Armen empfangen worden. Vor allem Ruth David taucht etwa ein Mal pro Jahr im Odenwald auf. Denn ihr Buch ist dermaßen eindringlich, informativ und gleichzeitig mitreißend geschrieben, dass die Landeszentrale für politische Bildung sie schon früh als wichtige Zeitzeugin entdeckt hat und regelmäßig dazu einlud, an verschiedenen Schulen in ganz Hessen daraus zu lesen.

Empfangen und betreut während ihres diesjährigen Deutschland-Aufenthalts wurde die Gruppe von der Beerfurtherin Barbara Linnenbrügger, einer langjährigen Vertrauten und Kennerin der Familiengeschichte der Oppenheimers, sowie der gebürtigen Engländerin Anna-Jane Pöhlmann aus Brensbach, die bei Sprachschwierigkeiten aushalf, denn die Oppenheimer-Kinder und ihre Nachkommen haben keine gemeinsame Muttersprache mehr. Auch die Bergsträßer Steinbildhauerin Eva-Gesine Wegner begleitete die Besucher, da sie derzeit zusammen mit zwei Schulen in Rimbach einen „Platz der Achtung“ gestaltet, der an die Transporte jüdischer Kinder nach England im Jahre 1939 erinnern soll.

Das Programm der Gruppe war enorm. Auf der Suche nach den Spuren ihrer Vorfahren besuchten sie unter anderem den jüdischen Friedhof von Frankfurt, wo die Eltern von Margarete Oppenheimer, geborene Krämer, begraben sind, und den jüdischen Friedhof von Reichelsheim, der für zahlreiche Oppenheimers aus Fränkisch-Crumbach zur letzten Ruhestätte wurde. Die Besucher hatten sich sehr sorgfältig vorbereitet und suchten anhand ihrer im Laptop gespeicherten Stammbäume gezielt nach bestimmten Grabsteinen. Und wurden immer fündig, auch wenn sie manchmal erst ein bisschen Moos von den Inschriften abkratzen mussten.

Auf großes Interesse in Reichelsheim stießen auch die Erläuterungen des dortigen Heimatforschers Reinhard Grünewald zu den von dem Kölner Konzeptkünstler Gunter Demnig gesetzten „Stolpersteine“ vor Häusern, in denen früher jüdische Mitbürger lebten. In Fränkisch-Crumbach wurde das ehemalige Wohnhaus und die Zigarrenfabrik von Vater/Großvater Moritz Oppenheimer besucht. Sehr berührt zeigten sie sich die Gäste zudem über eine szenische Lesung im evangelischen Gemeindehaus von Fränkisch-Crumbach, an der zahlreiche Freunde der Familie teilnahmen, darunter auch Pfarrer Armin Mohr und Bürgermeister Eric Engels. Im Rahmen der von Barbara Linnenbrügger erarbeiten und mit eindrucksvollen Fotos und Dokumenten unterfütterten Lesung wurde die Geschichte von Margarete Oppenheimer noch einmal lebendig. „Sie war eine intelligente, kultivierte und weltoffenen Frau“, so die Erinnerung ihrer Tochter Ruth. Eine Frau, die in Mannheim und Frankfurt aufgewachsen war, Naturwissenschaften und Mathematik studiert hatte, und dann einen dreizehn Jahre älteren Fabrikanten aus dem Odenwälder Dorf geheiratet hatte, der bereits aus erster Ehe zwei Kinder mitbrachte. „Es muss Liebe gewesen sein“, darin waren sich alle Anwesenden einig.

Text und Foto: Kirsten Sundermann

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